Sie haben die PISA-Sieger Singapur und Hongkong besucht. Was können die, was wir nicht können?

HEINZ FASSMANN: Das Elternhaus spielt eine große Rolle. Der Ehrgeiz der Eltern, dass die Kinder gute Noten nach Haus bringen, ist gewaltig. Strukturell sind die Unterschiede an Schulen nicht so groß, die Art des Unterrichts ist ähnlich. Der Einsatz moderner Technologien ist ein mäßiger. Die Kinder sind einem hohen Druck seitens der Eltern ausgesetzt.

Das Drill-Klischee stimmt also?

Es scheint sich zu bestätigen. Hier will man von Österreich lernen. In allen Gesprächen wurde angedeutet, dass man von dem reproduzierenden Lernen wegwill - hin zum aktiven Lernen, wo Kreativität und Problemlösung gefragt sind.

Der Erfolg der fernöstlichen Universitäten hängt aber nicht von den Eltern ab?

Nein, hier werden die Entscheidungen von einigen wenigen auf höchster Ebene getroffen. Ich bin kein großer Freund dieser Politik, weil die Beteiligten in die Konzeption eingebunden werden sollten.

Hätten Sie dennoch nicht gern mehr Macht als Minister?

Nein, was ich mir wünsche, wäre mehr Geduld in der Politik bei der Umsetzung strategischer Entscheidung. Einmal getroffene Grundsatzentscheidungen sollten nicht gleich nach zwei Jahren infrage gestellt und umgestoßen werden.

Die enge Verzahnung der Unis mit der Wirtschaft ist ein Teil des fernöstlichen Erfolgs?

Da können wieder wir viel lernen. Die Unis haben sich jahrelang als Hort der Wissenschaft und Lehre verstanden. Wir sollten die dritte Dimension stärken: Was kann die Wissenschaft für die Ökonomie tun? Grundlagenforschung darf nicht von außen diktiert werden.

Die Freiheit der Wissenschaft geht über alles?

Nur wenn frei geforscht wird, ist disruptives Denken mit überraschenden Erkenntnissen möglich.

Sie haben mit dem Kanzler hier in Hongkong den digitalen Masterplan angekündigt. Was schwebt Ihnen vor?

Die Schulen müssen sich stärker mit der digitalen Welt auseinandersetzen als bisher. Der Einsatz digitaler Medien bringt viele Vorteile mit sich, etwa eine stärkere Individualisierung im Unterricht. Ohne digitale Hilfsmittel hätte der Lehrer gar nicht die nötige Zeit dafür. Computer fördern auch das algorithmische, analytische, prozessorientierte Denken.

Es wird immer der mündige Bürger und Konsument beschworen. Braucht es nicht auch den mündigen Digital-Konsumenten - siehe Fake News, Cybermobbing, Handysucht, Unterwanderung der Privatsphäre?

Absolut. Je mehr man weiß, was Computer können, desto stärker kann man sich emanzipieren, umso geringer sind die Dämonisierung und die Allgläubigkeit. Wird die Maschine uns ersetzen? Niemals. Wir bestimmen, was die Maschinen tun, wie sie programmiert werden.

Bis wann sollte der Masterplan umgesetzt werden?

Wir müssen ihn erst erstellen. Man muss alles umfassend betrachten, den Ausbau des Breitbands an allen Schulen, die Erstellung von Lehrplänen, die Ausbildung.

Die Lehrerausbildung ist wohl der Schlüssel. Viele Schüler kennen sich digital besser aus als ihre Lehrer und Eltern.

Wir haben den Pädagogischen Hochschulen den Auftrag gegeben, das Digitale ins Zentrum zu stellen. In meinem eigenen Fach (Geografie) war ich selbst an der Weitergabe digitaler Kompetenzen beteiligt. Eins geht sicher nicht: dass Lehrer dann sagen, für mich ist das nichts mehr. Sie machen es ja für die Schüler.

Bis wann bekommen die Schüler Tablets oder Endgeräte?

Die meisten Kinder haben heute schon Endgeräte. Das Handy wird man nicht zum zentralen Werkzeug erklären können. Natürlich wäre es schön, wenn es ein digitales Schulbuch gibt, das jeder Schüler bekommt. Das müssen wir noch durchrechnen und durchdenken.

Mein Eindruck ist, dass der Kanzler ungleich euphorischer an die Sache herangeht als Sie?

Der Kanzler ist jünger. Ich habe im Leben gelernt, dass nicht alles so rasch möglich ist. Die Konzeption ist wichtiger als die Frage des Tablets. Wenn kein Konzept dahintersteht, helfen die schönsten Tablets nicht.

Kurz hat angedeutet, dass der Staat die Kosten übernimmt?

Man wird es nicht den Eltern überlassen können, weil sich sofort die soziale Frage stellt. Wie das finanziert wird, müssen wir uns anschauen. Schulbücher finanziert der Familienlastenausgleichsfonds.

Das klassische Schulbuch verschwindet aber nicht?

Es wird eine neue Form der Aufgabenteilung zwischen dem Digitalen und dem Schulbuch geben. Das Grundsätzliche wird dem Schulbuch vorbehalten bleiben. Das Schulbuch verschwindet nicht aus dem Klassenzimmer.